Gestalten ist das neue Lösen
«Wie gestalten wir diese Situation?»
Mit diesem Satz haben wir als Paar vor einigen Jahren angefangen zu experimentieren. Da wir beide stark für unsere Lösungen einstehen bis zu recht haben wollen, war Knatsch vorprogrammiert. Wir hatten genug davon. Wir wollten uns nicht mehr so fühlen. Wir wollten diesen Stillstand nicht mehr. Wir wollten diesen Umgang miteinander nicht mehr. Wir wollten eigentlich etwas Gutes für eine Situation und nicht uns beweisen, wer mehr recht hat, indem er*sie die bessere Lösung auf den Tisch knallt.
Wir haben somit vor einigen Jahren angefangen, Sätze wie «Wir brauchen eine Lösung» oder «Was ist hierfür die Lösung?» oder «Wie lösen wir das?» umzuwandeln in den Satz: «Wie gestalten wir diese Situation?».
Was mit der Zeit und bis heute passiert, ist, dass wir durch diesen Satz und das Wort «gestalten» sofort in eine co-kreative Haltung kommen.
Wir können gar kein Rechthaber-Arschloch sein, denn das Gestalten bietet gar keinen Boden dafür. Sobald der Satz ausgesprochen ist, geht es los, dass wir Ideen und Möglichkeiten, die der Situation zuträglich sind, in einen unsichtbaren Topf zu werfen, der fiktiv zwischen uns in der Mitte steht.
«Wir könnten dies und jenes», «wie wäre es mit…», «ich könnte mal …».
Immer ergebnisoffen. Weil einfach nicht klar ist, was auf dem Weg noch zusammenkommt, um die Situation zu gestalten und zu einer für alle akzeptablen Antwort zu kommen.
Die Lösung macht viel zu früh zu. Sie macht keine Räume auf. Sie lässt Menschen verstummen. Du kennst das sicher: Nach dem ersten Vorschlag, der vermeintlichen Lösung, setzt diese betretene Stille ein. Es geht nicht weiter.
In Gruppen und Teams habe ich das oft erlebt. Die Menschen fühlen sich nicht eingeladen. Je mehr Druck auf einer Situation ist, desto schneller und unbedachter muss eine Lösung her. Also hauen die extrovertiertesten Team-Mitglieder mal eine Lösung raus, mit viel zusätzlichem Druck, damit sie sich durchsetzt, dass kein anderer Mensch am Tisch annähernd Lust hat seine Motivation, Gedanken oder Ideen einzubringen.
Die Sätze sind im Stil von «Jetzt muss man mal…», «Jetzt müssen wir mal pragmatisch sein…», «Nicht nur reden, sondern jetzt müssen wir mal machen…», und so weiter und so weiter.
Die frühe Lösung ist der Killer für jegliche Antwort auf komplexe Situationen. Und mit komplexen Situationen sind solche gemeint, wo mehrere Menschen für eine Situation eine Antwort suchen. Die Beziehungszustände sind das komplexe Element. Wir mögen uns als Menschen nicht per se und wir gehen auch selten würdevoll miteinander um, weil wir in künstlichen Gemeinschaften zusammengebracht sind, wie Firmen und Organisationen, für ein Vorhaben, das wir weder erfunden haben und noch massgeblich mitgestalten können. Widrige Umstände für die Suche einer sinnhaften Antwort auf eine Situation. Und genau das alles macht es wahnsinnig komplex und zum Teil auch einfach kompliziert.
Und kompliziert mögen wir Menschen gar nicht. Da haben wir den Reflex, dass das weg muss. Und dafür hauen wir Lösungen raus. Weil wir meinen abkürzen zu können, weil Aktionitis uns ein lebendiges Gefühl geben – kurzfristig.
Wir haben nicht trainiert, Dinge zu gestalten. Wir haben trainiert, dass es funktionieren muss.
Funktionieren ist das höchste Gebot. Der Mensch stört eigentlich nur im Prozess. Weil er Fehler macht, Bedürfnisse hat, Befindlichkeiten einbringt und seine eigene Vorstellung von einer Antwort auf eine Situation hat.
«Mach es einfach!»
Das hat der Industrialisierung den Aufschwung und die Dominanz gebracht und uns Menschen, zumindest einem Teil der Erdenbewohner, einen Wohlstand, an den sich nun die meisten klammern, mit Lösungen, die über den eigenen Gartenzaun nicht hinausreichen.
Je besser wir funktionieren, desto maximierbarer ist das Resultat. Die Frage, ob das Resultat in gesundem Zusammenhang steht mit anderen Menschen und der Natur, stört nur. Also das was rauskommt ist zwar fett, nur der Weg dahin ist würdelos, von Brutalität geprägt und disconnected von der Natur und dem Menschsein.
Die Disconnectedness für die Lösung frisst uns die Lebensenergie. Die Burnout-Zahlen explodieren, mentale und psychische Gesundheit wird immer wichtiger, die Sinnfrage nagt an unserer schönen neuen Welt und lässt die Leistungsbereitschaft massgeblich sinken.
Nur, die Arbeit verändert sich. Und somit auch wie wir agieren in der Arbeit. Je mehr Arbeit von Maschinen übernommen werden kann, desto mehr Raum für…ja was eigentlich?
Wir werden quasi gezwungen, zu gestalten. Denn wofür steht mensch am morgen auf, wenn nicht für das bedienen von Maschinen – für das Funktionieren?
Es ist eine Situation für die eine Lösung wenig beitragen kann. Denn sie wird immer zu kurz greifen. «Wenn die Maschine, meine Arbeit macht, dann mach ich ich halt…». Ja was machst du dann? «Ich werde eine Lösung finden…». Gut möglich. Wofür eine Lösung? Warum willst du arbeiten? Wofür arbeitest du?
Wenn du nun sofort «um Geld zu verdienen» sagen willst, dann ist das zwar eine Lösung für die Situation des Arbeitens. Aber ist es dein Wunsch, Lebenszeit in das Generieren von etwas zu stecken, das einen abstrakten Wert hat, den du gar nicht greifen kannst? Für so etwas möchtest du arbeiten?
Die Arbeitssituation bräuchte doch klar die Gestaltungsfrage.
Was passiert und welche Bilder entstehen, wenn du dich fragst: «Wie möchte ich meine Arbeit gestalten?»
Kommt dann auch reflexartig «um Geld zu vedienen?». Oder hat es Raum für andere Gedanken?
Genau das meinen wir mit der Kraft der Gestaltingsfrage.
Die Lösung ist klar, jedoch ist der Raum zu eng, die Nachhaltigkeit zu kurzgefasst und Verbundenheit zu einem grösseren Ganzen inexistent.
Kann man machen, fühlt sich für mich aber wenig lebenswert an.
Im Gestalten liegt das Leben. In der Lösung der Tod einer umfassenden Antwort.
Der Akt des Gestaltens liegt im Amplifizieren von Möglichkeiten. Es ist ein Feuerwerk an Connectedness. Man verbindet sich mit allem, was im Raum ist. Mit den Menschen, den Themen, den Möglichkeiten, dem Umfeld, der Vergangenheit, der Zukunft, dem Jetzt. Data, Data, Data.
Und aus dieser Ganzheit an Infromatinen sagt mensch: «Wie wäre es, wenn ich mit Peter rede?»
Du fragst dich: Was soll daran bitte gestaltend sein?
Da der Anruf an Peter nicht die Lösung, aber ein Beitrag zur Situation sein kann, kann jemand anderes sagen: «Ich mach dir eine Zusammenstellung, damit du mit Peter durch die Details gehen kannst.»
Und noch jemand wirft ein: «Ich rede unterdessen mit ein paar Kunden, um den Puls zu fühlen, ob die Situation ihrer Meinung nach eine Aktion unsererseits braucht und wie diese aus ihrer Sicht aussehen könnte.»
Und so weiter.
Das Beispiel zeigt, wie Menschen mögliche Handlungen in den Topf werfen und so die Situation anreichern und sich einer Antwort annähern.
Eine Lösung würde so klingen: «Wir müssen nun diese Ineffizienz endlich in den Griff bekommen. Die Lösung ist, sich mit Peter an einen Tisch zu setzen und das zu besprechen.»
Ich höre dann immer eine Stimme: «Super, mach das! Tschüss!»
Es ist keine Einladung auf dem Tisch. «Wie gestalten wir die Diskussion mit Peter?» ist eine klare Einladung an alle Beteiligten, mögliche Handlungen einzubringen.
Es kommen nicht abgeschlossene Lösungen zusammen, die man nur torpedieren kann, wenn man selber eine andere hat, sondern wir amplifizieren Möglichkeiten und bauen eine «Antwort» auf eine Frage, die uns das Leben gerade stellt.
Das Gestalten hat auch nicht diese industrialisierte Haltung in sich, dass etwas sofort gelöst werden muss und man nach Optimierung oder gar Maximierung drängt.
Gestalten heisst, sich Raum zu geben etwas richtig gut zu machen, weil man eine Situation nicht vernichten will, also vom Tisch haben, von der Todo-Liste, aus der Verantwortung, sondern, weil man sich einer Situation annimmt, die es scheinbar verlangt, dass man sich dieser zuwendet.
Das braucht ja alles ewig Zeit!
Gestalten braucht nicht mehr Zeit in Summe. Es müssen nur nicht dauernd, die zehn Lösungen für die Lösung nachgeliefert werden, weil die Lösung stets zu kurz und zu eng gedacht wurde. Du kennst diese sinnbefreiten Loops. Iteration liegt der Lösung nicht. Sie soll endlich sein. Es soll vorbei sein, erledigt. Nur, komt dauernd wieder etwas neues dazu. Und da die Lösung meist eindimensional gedacht ist, damit sie vom tisch ist, kommt die neue Herausforderung wie bestellt und trifft auf eine dysfunktionale Gemeinschaft, die stets versucht die Situationen abzuwenden oder loszuwerden – für immer.
Die Haltung zur Situation transformiert sich sofort, wenn wir fragen «Wie können wir diese Situation gestalten?».
Wir nähern uns der Situation an. Jeder aus seinerihrer Perspektive. Und da wir die möglichen Gestaltungselemente in diesen Topf zwischen uns werfen, hat jede*r Raum, diese Möglichkeit zu erweitern, anzureichern und zu nähren.
Bei Lösungen muss ich meinen Beitrag verteidigen, andere abwehren, weil es gibt ein Ziel: Den Scheiss vom Tisch haben.
Beim Gestalten kommt man zu einer solchen Aussage gar nicht, da gleichgültig wie widrig die Situation sein mag, das Gestalten kommt aus einer Haltung der Zuwendung zur Situation.
Und Zuwendung ist Fürsorge und Fürsorge braucht Liebe und Liebe kämpft nicht und ermöglicht.
Beim Gestalten verbinde ich mich nicht mit der abschliessenden vermeintlich einzigen funktionierenden Handlung, sondern ich verbinde mich mit meiner Gestaltungskraft als Mensch, der sich die Situation betrachtet, seine Fähigkeiten, nicht Nützlichkeiten, einbringt und ergebnisoffen einen Möglichkeitsraum eröffnet. Nicht um etwas «wegzumachen», sondern um etwas entstehen zu lassen.
Der Akt des Gestaltens erfüllt uns mit Lebensfreude, der Akt des Lösens frisst unsere Energie.
Wir sind genügend gefordert in künstlichen Umfeldern, wie Firmen und Organisationen, unseren Platz als Mensch zu finden und wir sind mit den Interdependenzen, den gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen uns Menschen beschäftigt, damit ein gemeinsames Wirken möglich wird. Insofern ist der Sache förderlich, eine wohlwollende Handlung wie das Gestalten zu kultivieren, was uns auch der Planet und kommende Generationen danken werden.